Laura Bruns: Stadt selber machen (Interview)

Laura Bruns kommt aus München und ist bei 72 Hour Interactions für den Infopavillon auf dem Kornmarkt zuständig. Ich guckte mich hier schon um. Sie hatte mehrere Tage dokumentiert, der dritte Tag bleibt noch aus und sie ist für Social Media zuständig. Was machst du denn da?

Bruns: Ich arbeite ganz eng mit dem Fotografen von „72“ zusammen – mit dem Martin. Wir setzen uns täglich zusammen. Wir überlegen uns welche Bilder schön sind und ich poste die Bilder auf Facebook, mache Aufrufe fürs Spiel, dass die Leute zum Infopavillon kommen und auch einfach die Welt wissen lassen, dass „72 Stunden“ in Witten gerade stattfindet.

Bei 72 Hour Interactions hat jeder mehrere Aufgaben und warum du wahrscheinlich gewählt worden bist, ist dein Buch „Stadt selber machen – ein Handbuch“, dass du herausgegeben hast. Jetzt wird die Stadt nicht von den Bürgern selber gemacht – wie Du das in deinem Buch beschreibst – sondern es sind Leute aus der ganzen Welt angereist. Ein anderer Ansatz der aufgehen kann?

Bruns: Auf jeden Fall, also gerade hier bei „72 Stunden“ geht es ja auch einfach darum, dass man Ideen oder Prototypen vorgibt, um den Leuten in der Stadt neue Möglichkeitsräume zu schaffen und ich glaube gerade dafür ist das Festival ein super Ansatz.

Glaubst du die Menschen brauchen in Witten so einen „Anschubser“, um die Stadt selber zu machen?

Bruns: Also ich glaube „Anschubser“ ist vielleicht das falsche Wort. Also in den fünf Tagen, wo ich jetzt hier bin, habe ich sehr viele Gruppen und Initiativen kennengelernt, wie z.B. den Schwarzmarkt. Hier ist also schon sehr viel im Rollen. Aber gleichzeitig merkt man auch, dass hier noch sehr viel Luft nach oben gibt. Ich glaube, da sind genau die Projekte, die jetzt einfach auch sichtbar gebaut werden – in den nächsten drei Tagen – ein super Startpunkt.

Du hast in deinem Buch Beispiele beschrieben – aus der ganzen Welt. Da gibt es u.a. z.B. Berlin: Was ist denn da passiert?

Bruns: In Berlin gibt es einen jungen Mann – den Stephan – der hat am Paul-Lincke-Ufer in Kreuzberg – gab es einen total vermüllten Uferstreifen – und der ist eigenständig rangegangen, hat alles gerodet, hat den Müll weggeschafft und hat aus Paletten Stufen eingezogen, so dass die Leute, die einmal die Woche am Wochenmarkt teilnehmen, sich nach dem Markt – nach den Einkäufen – dort ausruhen können. Und das ist total gut, es hat wunderschöner interkulturelle Raum ergeben. In der einen Ecke saß das Liebespärchen – das geschmust hat, dann hinten saß die türkische Großfamilie, die gegrillt hat, dann die Touristen – die ihre letzten Berlin-Bilder angeguckt haben. So ist ein wunderschöner Raum entstanden.

Es gibt noch mehr Beispiele. Was ist denn dein Lieblingsbeispiel aus dem Buch?Bruns: Mein Lieblingsbeispiel aus dem Buch ist aus Zürich. Das nennt sich das Biest. Das ist in Zürich-West. Das ist es in alter Industriebezirk, der gerade so zum hippen Szeneviertel verkommt – sage ich mal. Auf einer Brache kam eine Gruppe von Zürcher Skatern, die ohne Genehmigung in der Nacht- und Nebelaktion quasi ein Pool aus Beton in den Boden gegossen haben – wo man Skateboard fahren kann. Haben Möbel selber gebaut, haben Generator hingestellt, haben und Grillstellen geschaffen. Am Anfang bisschen kritisch beäugt, inzwischen ist es so, dass es von der Stadt gefördert wird. Die Stadt hat in sein Stadtmarketing aufgenommen. Aber noch viel besser ist, das ist genau das, was ich mit mein Buch zeigen will, nämlich wie die Nachbarschaften entstehen können. Diese ganze Brache – auf dem dieser Pool heute steht – ist heute ein Treffpunkt für das gesamte Quartier gewonnen. Zu jeder Tages- und Nachtzeit sind dort Kinder und Erwachsene, die sich dort treffen, die dort grillen, die das Skateboard fahren, die dort Fußball spielen. So ist Leben in den Bezirk gekommen.

Nachhaltigkeit kreativer Freiräume in der Stadt

Du hast sieben Beispiele in deinem Buch veröffentlicht, gezeigt. Hast Du dich auch mit der Nachhaltigkeit beschäftigt? Was ist von diesen sieben Beispielen erhalten geblieben?

Bruns: Von den sieben Beispielen sind sechs erhalten geblieben. Natürlich gibt es immer wieder Projekte, wo die Leute irgendwann die Lust verlieren. Das habe ich aber auch in meiner Forschung herausgefunden – ich habe zwei Jahre lang geforscht zu dem Thema Aneignung öffentliche Räume. Es ist ganz wichtig, wenn man solche Projekte macht, dass man auch an den Zeitpunkt denkt, wenn vielleicht die Community oder die Gemeinschaft keine Lust mehr auf das Projekt hat, dass man seine Sachen wieder wegräumt. Was natürlich auch gesehen hat das irgendwo in Hamburg, Berlin gab es mal ein super Projekt und man geht vorbei und es ist eigentlich nur noch Müll dort. Was aber eigentlich eher selten vorkommt. In der Regel gibt es immer Leute, die sich drum kümmern. Es wird sich um Müll gekümmert, es gibt Schichten, man organisiert sich via Facebook, via Google Docs.

Das Projekt – von dem ich gesprochen hatte – am Maybachufer in Berlin, da hat sich leider ein Hundebesitzer aufgeregt, dass er mit seinem Hund dort nicht mehr ins Gebüsch gehen kann und hat eine Anzeige beim Ordnungsamt gemacht. Dann musste das Ordnungsamt leider das ganze wieder absegnen lassen.

Berlin ist groß, da fällt so ein bürgerliches Engagement von unten nicht auf. In kleinen Städten ist anders?

Bruns:
In Kleinstädten ist es viel schneller, dass die Leute sehen, dass irgendwas Neues entstanden ist. Und auch gerade wahrscheinlich die Bürgermeisterin, die Menschen der Behörden wohnen ja auch mitten in der Stadt. Man überquert die Plätze öfters. Mit Sicherheit wird es schneller auffallen. Ich habe beim Knuts diesen Garten gesehen und diesen Bogen. Würde mich jetzt wieder als Gegenfrage interessieren, wie wurde das angenommen?

Gegenfrage an mich? Das gibt ja schon länger d.h. das wurde gut angenommen und ich glaube da Stricken die Damen für die Bäume Deckchen.

Bruns: Genau, also ich glaub vielleicht gerade in der Stadt – wie Witten – wo man solche Strömungen soeben Urban Gardening oder so „Stadt selber machen“ – solche Projekte sind eigentlich eher immer so diese verrückten Menschen aus Berlin – so wird oft so gesehen. Ich denke, dass sich viele Leute auch freuen, wenn man sieht, dass was auf der Straße passiert und Anlaufpunkt geschaffen wird, wo man mit machen kann, wo sich die Nachbarschaft kennen lernen kann und sich das Quartier vielleicht neu findet auch.

Wie entstehen kreative Freiräume in der Stadt?

Wie entstehen solche Projekte? Gib es da eine Person oder gibt mehrere Personen? Wo kommt die Initialzündung her?

Bruns: Ich denke es gibt meistens eine Person, die eine Vision hat, teilt die Vision, frag Freunde ob sie mitmachen. Meine Erfahrung ist auch, es gar nicht groß lange Planung. Die meisten Leute die fangen einfach an zu machen und dann ist es eigentlich auch so ein Schneeballprinzip, dass da immer mehr dazu kommen. Irgendwann nimmt es eine gewisse Professionalität an, d.h. man gründet einen Verein, man versucht Stiftungsgelder zu bekommen, was eben auch sehr interessant ist, dass ich erfahren habe, dass auch in mein Buch es ist, dass es in Deutschland für unglaublich viele Dinge die Quartiersförderung Gelder und Töpfe gibt, Stiftungen z. B. Stiftung Mitarbeit oder auch EU-Förderungen.

In Berlin hat sich ein Mann beschwert, ist zum Ordnungsamt gegangen und wollte, dass die Initiative wieder beendet wird. Es gibt in Witten sowas ähnliches, es gibt eine Facebook-Gruppe, die sich darüber beschwert, dass 72 Hour Interactions passiert. Warum beschweren sich die Leute? Hast Du eine Idee, wo kommt dieser Querulanten her?

Bruns: Na, ich denke, vielleicht jetzt auch gerade wir hier von „72“ sind sehr auffallen und überrollen die Stadt auch ein bisschen in unseren gelben Anzügen mit den quietscht pinken Plakaten und den ganzen Baumaschinen. Ich glaube, es ist vielleicht eine gesunde Skepsis und bei vielen Leuten eher so, dass man erst mal um sich schlägt und natürlich darf man das vielleicht von unserer Seite auch nicht davon ausgehen, dass immer jeder alles toll finden.

Was wäre denn ein anderer Weg um die Menschen mitzunehmen? Der amtliche Weg, der häufig sehr lange dauert, bis etwas umgesetzt wird?

Bruns: Was ist der amtliche Weg?

Dass man erst mal die Bürger einlädt, mit den bespricht was man machen möchte, dann zehn Jahre auf die Fördergelder wartet und dann sind die Menschen schon verzogen, sind andere wieder da, die den Entstehungsprozess gar nicht mitgekriegt haben.

Bruns: Das ist ja quasi Partizipation, wie sie im Handbuch steht. Ich mach ganz viele Bürgertische. Ist an sich eine super Geschichte, aber auch worauf du gerade anspielst, dass die Dinge dann erst nach 10 Jahren umgesetzt werden, ist auch wiederum das Beispiel aus Zürich. Zürich-West – der neue Stadtbezirk – wurde vor 20 Jahren geplant und so wie es heute gebaut wird – also 20 später – gefällt es eigentlich niemanden mehr. Somit ist es glaube ich, das gesamte was in „72“ gut ist, ist dass, einfach in drei Tagen Sachen entstehen und die Leute sich vorstellen können, was denn überhaupt noch möglich ist.

Das Gute daran ist – auch vielleicht – um die Kritiker zu besänftigen – das ist ja nicht stehen bleiben muss. Das ist einfach drei Tage da. Man kann darüber nachdenken, ob man toll findet. Wenn man es toll findet, kann man sich dafür einsetzen, dass es stehen bleibt. Wenn man es schlecht findet, dann ist es auch sicher schnell wieder weg.

Was wahrscheinlich schade wäre?

Bruns: Was mit Sicherheit schade wäre, da die Teams ganz tolle Ideen haben und man auch einfach seine eigene Wahrnehmung – ich habe es gestern auch wieder gemerkt, bei dieser Spiele-Test-Tour – man kommt in den Raum oder an dem Platz und denkt sich, es ist nicht schön hier, es ist so laut und irgendwie müllig. Man ist eine Weile dort und lässt sich von den Teams irgendwie einmal in diese Welt einführen und hat auf einmal, wenn man da wieder raus geht, ganz anderes Bild von diesem Ort, den man eigentlich am Anfang hatte. Ich glaube gerade dazu, dass ist eine Chance für Witten. dass man viele Orte noch mal anders sehen kann und bespielen kann.

„Stadt selber machen“ von Laura Bruns ist ein Buch, das bekommen wir wo?

Bruns: Beim JOVIS Verlag im Internet, bei Amazon aber am allerbesten bei mir, meine Internetseite ist stadtstattstrand.de

Mir einfach eine E-Mail schreiben www.stadtstattstrand.de

Laura Bruns danke für das Interview

Bruns: Danke dir.