Zwei Meter Kunst

Zwei-Meter-Kunst heißt ein neues Projekt des Wiesenviertel e.V. Wittener Künstler_Innen stellen ihre Werke in Schaufenstern der Ladenlokale aus. Die Wittener Kulturschaffenden Ronja Gerlach (Theaterpädagogin), Gabriel Schunk (Regisseur) und Joscha Denzel (Musiker und Booker) haben das Projekt initiiert. In der Marek Show erklären sie die Idee und stellen zukünftige Pläne vor. Marek Schirmer spricht mit Ihnen im Podcast und am Sonntag (12.4.) ab 19:04 Uhr im Bürgerfunk auf Radio Ennepe Ruhr.

Wie seid ihr auf die Idee gekommen?

Joscha Denzel: Das Leben ist runtergefahren und irgendwie muss doch das sichtbar bleiben, dass die ganzen Künstler_Innen in Witten weiter aktiv sind. Die ganzen Ladenlokale sind jetzt geschlossen, haben aber zum Teil tolle Angebote, machen Mitnahmeangebote oder haben Onlinestores oder wollen einfach Grüße raussenden, an die Leute die sie sonst besuchen kommen.

Die Idee war sehr schnell da, das zusammen zu bringen. Wir drei haben uns zusammengesetzt und schnell war der Geistesblitz da. Die zwei Meter Abstand – die jetzt zwischen den Menschen entstanden sind – die haben wir im Schaufenster normalerweise auch als Fläche und die wollen wir bespielen.

Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit zwischen den Ladenlokalen, die etwas auszustellen haben – also normalerweise ihre Ware und heutzutage Kunst – und euch, die ihr im Alltag eher Kultur schafft.

Gabriel Schunck: Das war relativ einfach. Wir haben uns umgeschaut, in welchen Ladenlokalen die Möglichkeit besteht Flächen zu bespielen. Durch unsere Arbeit, Joscha als Kulturschaffender im Wiesenviertel, ich als ehemaliges Stellwerk-Mitglied und Ronja als Organisatorin in der Projektfabrik sind wir alle hier in Witten vorortet. Wir haben dadurch schnell und gute Verbindung zu den Ladenlokalinhabern aufbauen können, die insbesondere hier in der Innenstadt uns eigentlich alle persönlich bekannt sind. Damit war das fast eigentlich der einfachste Schritt in diesem ganzen Projekt, die Leute zu motivieren und zu begeistern ihre Schaufensterflächen zur Verfügung zu stellen.

Die Projektfabrik ist mitten in der Fußgängerzone.

Ronja Gerlach: Genau, die Projektfabrik ist eines der Fenster in der Fußgängerzone, die eben eine Schaufensterfläche zur Verfügung stellt. Uns war es aber wichtig, dass wir nicht nur mitten in der City sind. Das ist schön und wichtig, denn hier gehen die Menschen noch ihre Einkäufe machen und man kann dann auf dem Weg zum Einkaufen an den Fenstern vorbei flanieren. Wir haben auch Schaufenster z. B. in Annen, auch etwas außerhalb von der City, die dann bei täglichen Spaziergängen angesteuert werden können.

Nur zur Erinnerung, die Projektfabrik befindet sich im ehemaligen Café Leye. Das steht nicht über dem Eingang, aber dort ist schon häufiger Kunst im Schaufenster ausgestellt worden. Wie kann ich mir das Ganze vorstellen? Ich gehe in Witten durch die Fußgängerzone, schaue nach links und rechts und dort stehen Bilder?

Joscha Denzel: Ganz genauso. Wir sind jetzt in der besonderen Situation. Die Leute halten sich – ich finde – recht vorbildlich an die Kriterien, die das Robert-Koch-Institut vorgibt. Man soll also nur das Haus verlassen, wenn man wirklich einen dringenden Einkauf macht oder um täglich eine Dosis frische Luft abzubekommen. Das bedeutet, das Leben reduziert sich so auf die Grundbedürfnisse, wie Essen kaufen und bisschen Bewegung. Ein Grundbedürfnis ist eben auch Kunst und Kultur. Das lässt sich jetzt ganz einfach verbinden. Auf dem Weg zum Einkaufen oder beim Spaziergang kann man dann tatsächlich in der Wiesenstraße oder in den Seitenstraßen der Bahnhofstraße diese großen Aufkleber in Türkis „2-Meter-Kunst“ entdecken und sich dann dem nähern und im Schaufenster Kunst angucken. Bitte immer mit zwei Meter Abstand, idealerweise alleine oder mit einer Person mit der man sowieso zusammen wohnt.

Aber ich muss nicht zwei Meter Abstand zum Schaufenster halten?

Joscha Denzel: Zum Glück nicht. Vielleicht die Schaufenster nicht berühren, aber die Glasscheibe ist zum durchgucken da.

Es sind 15 Schaufenster in der Stadtmitte und Annen, machen auch 15 Künstler mit oder haben wenige Künstler einfach 15 Bilder dazu gesteuert.

Gabriel Schunck: Wir haben insgesamt 19 Künstler_Innen, davon acht männliche und elf weibliche. Das heißt, dass in verschiedenen Ladenlokalen auch verschiedene Künstler zusammenausstellen. Manche Ladenlokale werden nur von einem Künstler bespielt. Es gibt mehrere Ladenlokale, in denen auch größere Schaufensterflächen zur Verfügung standen. In diesen Ladenlokalen haben wir zwei Künstler_Innen untergebracht.

Es ist nicht nur ein Bild, weil die Ladenlokalbesitzer Euch nur 2 Meter Fläche zur Verfügung gestellt haben, es können in einem Schaufenster auch 4 Meter sein?

Gabriel Schunck: Genau. Die ursprüngliche Idee war, dass man auch innerhalb des Rahmens von zwei Metern die Kunst ausstellt. Wir haben schnell festgestellt, dass die Künstler_Innen so enthusiastisch und euphorisch auf das Angebot reagiert haben, dass es eigentlich schon vom ersten Ladenlokal an, nicht möglich war sich auf zwei Meter Länge und Breite im Schaufenster zu reduzieren. Somit ist schon in jedem Ladenlokal mehr als zwei Meter Kunst zu sehen.

Wer hat Euch erlaubt Kunst auszustellen? Waren es nur die inhabergeführten Ladenlokalbesitzer oder -mieter oder auch Ladenlokalinhaber, die nicht in Witten sitzen?

Ronja Gerlach: Es ist viel tatsächlich einfach über Klinkenputzen passiert. Einfach E-Mails schreiben, einfach anrufen, gucken was passiert. Viel hat aber natürlich auch damit zu tun, dass das Projekt vom Wiesenviertel e.V. getragen wird. Viele Läden sind im Wiesenviertel Verein angegliedert. Dadurch waren die Inhaber für uns gut zu erreichen. Es ging für uns ganzschnell über Mund-zu-Mund-Propaganda. Ladeninhaber haben sich ausgetauscht. Wir wurden angeschrieben und haben mittlerweile mehr Läden, als wir unterbringen können. Es wird bald wahrscheinlich noch eine zweite Öffnung geben.

War das eigentlich leicht die Ladeninhaber anzusprechen? In Corona-Zeiten sind die Ladeninhaber nicht unbedingt erreichbar, weil die Läden geschlossen sind. Ich kann mir vorstellen, man geht Klinkenputzen und erhält keine Antwort. Ihr habt eine andere Erfahrung gemacht?

Ronja Gerlach: Ja, man muss aber dazu auch sagen, dass wir mehr Läden haben die selbstständig betrieben werden, also nicht von Ketten, sondern von einzelnen Betreiber_Innen. Die sind in der Regel leichter zu erreichen. Die sind sogar sehr gut zu erreichen gewesen. Wir haben ein sehr positives Feedback von den Menschen erhalten. Die Inhaber wollen, dass die Läden jetzt trotzdem noch sichtbar sind und genau das passiert mit so einem Projekt.

Wenn ich jetzt alle Läden sehen möchte, alle Schaufenster bewundern möchte, gibt es irgendwie so ein Guide, wo ich dann sehen kann wie ich mich am besten durch die Stadt bewege, um alles mit zu kriegen?

Joscha Denzel: Genau das ergibt es, es gibt auf unserer Instagram– und Facebook-Seite „2 Meter Kunst“ eine Straßenkarte. Diese Straßenkarte gibt es auch in jedem einzelnen Ladenlokal. Da ist dann markiert welche Läden machen mit und welche Orte. Man kann sich selber aussuchen, wo möchte ich jetzt gerade hingehen, was möchte ich mir vielleicht anschauen. Es gibt zusätzlich auch einen YouTube-Channel, der heißt auch 2 Meter Kunst, lässt sich über die Suchfunktion finden. Dort stellen sich die ganzen Kulturschaffenden und die Laden-Betreiberin auch noch mal vor. Man kann diesen YouTube-Channel – wieso ein Audiowalk benutzen. Es sind Nummern an den Stationen und sich damit durch die Stadt leiten lassen als Spaziergang.

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Was macht ihr momentan in eurer vielen Freizeit? Bei Regisseur – kann ich mir vorstellen – kann man noch Filme drehen. Bei einer Theaterpädagogin und einem Theaterpädagogen da greift die Kontaktsperre 2 Meter Abstand. Wie sieht denn euer Alltag heute aus?

Ronja Gerlach: So viel Freizeit habe ich gerade gar nicht. Es fühlt sich nicht so an, weil genau durch solche Projekte wie wir gerade machen, natürlich ganz viele neue Arbeit entsteht. Wir entdecken einfach neue Felder, neue Möglichkeiten unsere Arbeiten auszuüben. Für mich als Theaterpädagogin ist natürlich eine andere Art der Arbeit. Ich vermisse den Live-Moment, den man sonst im Theater hat. Wieles funktioniert gerade digital. Aber diese Schaufenster-Aktion und, dass wir jetzt Kunst in den Schaufenstern uns anschauen können, gibt es ein bisschen was von dem Live-Moment wieder. Wir gucken uns das Werk nicht digital abfotografiert im Internet an, sondern können es wirklich wirken lassen vor einem Fenster hinter Glas zwar, aber zu mindestens in wahrer Größe. Genau das sind einfach jetzt neue Arten an Projekten. Das ist nicht immer schön, das ist auch manchmal schade – ich vermisse meine Arbeit – aber es ist auch spannend die neuen Möglichkeiten zu entdecken, die jetzt entstehen.

Gabriel Schunck, als Regisseur sitzt man wahrscheinlich 2 Meter von den Leuten, die auf der Bühne auftreten. Darf man heutzutage auf der Bühne auftreten?

Gabriel Schunck: Nein, dürfen wir nicht. Ist doch ein bisschen tragisch – tatsächlich. Ich hätte eine Woche nach dem Corona-Shutdown Premiere mit meinem Stück gehabt, das ich gerade geprobt habe. Das Stück ist gerade auf Eis gelegt. Bei mir ist es ein bisschen wie bei Ronja. Ich suche mir gerade tatsächlich andere Projekte, andere Möglichkeiten und andere Spielarten. Ich stelle fest, dass die Zeit mit anderen Projekten und weniger Menschen gerade gefüllt ist momentan. Insbesondere jetzt z.B. die letzten Tage, im Zuge der Zwei-Meter-Kunst-Geschichte ist es ziemlich voll gewesen. Plötzlich hat man doch Termine und voller Arbeitstage. So bringt man die Zeit gut rum, auch wenn man den Kontakt zu Menschen nach wie vor vermisst.

Joscha Denzel, von dir haben wir nichts gehört. Du bist eigentlich dafür zuständig viele Bühnen zu bespielen. Du stehst manchmal selber auf der Bühne und manchmal sagst Künstler an. Das liegt jetzt alles brach?

Joscha Denzel: Genau, das hat mich auch eine Woche gekostet, in der ich ziemlich traurig war – muss ich gestehen.

Also Schock?

Joscha Denzel: Ja total, natürlich. Es war ja ehrlicherweise schon ein wenig abzusehen. Ich habe dann schon mit einigen Agenturen Alternativtermine ausgemacht, bevor das hier die große Welle gemacht hat. Ich konnte dann schnell darauf zurückgreifen. Jetzt ist alles in den Herbst verlegt. Wir hoffen einfach, dass wir in der Werkstatt z.B. auch im Herbst wieder spielen können, dass wir so lange den Menschen erhalten bleiben. Wir merken, dass die Leute auf uns zukommen. Die Leute spenden. Es ist total wichtig, dass diese Kulturzentren erhalten bleiben. Da müssen wir uns überlegen, wie wir diese Zeit alternativ bespielen. Das ist jetzt auch in die mein Job. Dazu gehört so ein Projekt wie 2-Meter-Kunst. Dazu gehört aber auch sich zu überlegen, wie geht das alles digital?

Habt Ihr überlegt das irgendwie zu beleben? So, dass es bildende Kunst ist, aber im Schaufenster mehr passiert?

Joscha Denzel: Ja, das finden wir total spannend. Im Grunde haben wir auch schon so rumgesponnen. Geht es, dass meine Performance macht, die dann eben 24 Stunden lang da stattfindet? Es ist ja unmöglich, dass ein Publikum zu gleich an diesen Ort ist. Die Leute müssen nacheinander kommen. Vielleicht in der zweiten Rutsche – mal gucken.

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2-Meter-Kunst gibt es in der Wittener Innenstadt zu sehen. An welcher Stelle fange ich an mir die Ausstellung anzuschauen?

Joscha Denzel: Es gibt keine Nummer Eins. Es lohnen sich alle Lokale. Wenn Ihr das entdeckt, geht drauf zu, geht drauf zu, schaut Euch das an. Ihr sieht die Karte und dann sieht ihr wo ist der nächste Ort, denn man nachstöbern kann.

Zum Ende ein Aufruf: Gibt es noch die Möglichkeit da einzusteigen?

Gabriel Schunck: Wir planen aufgrund des großen Zuspruchs auf jeden Fall eine zweite Runde. Das bedeutet: Ja, wir brauchen Ladenlokale. Und ja, wir nehmen auch noch Angebote oder Anfragen von Künstler_Innen für die zweite Runde an. Vielleicht wird es schon in der nächsten Woche können wir weiter Künstler dazunehmen. Es werden vielleicht auch Ladenlokale wieder rausfallen, die sagen wir haben das jetzt eine Woche gemacht und möchten ihr Schaufenster für sich haben. Wir könnten dann die Ladenlokale oder Kunstwerke ersetzen. Wir sind sehr dankbar, wenn wir Künstler_Innen und Ladeninhaber_Innen finden, die in der zweiten Runde dazukommen wollen.

Jetzt ist das mitten in der Wittener Innenstadt und so bisschen in Annen. Gibt es die Möglichkeit das auf vielleicht andere Stadtteile auszuweichen? Sollten sich vielleicht Ladenlokalbesitzer bei euch melden?

Joscha Denzel: Absolut! Das finden wir sogar sehr schön. Diese Kooperation in Annen ist jetzt entstanden, weil in der Bebelstraße ganz viele Ateliers sind, die total aktiv die ihr Quartier gestalten.
Da ist jetzt ein ganz toller Austausch entstanden. Leute aus Annen stellen in der Innenstadt aus, Leute aus der Innenstadt in Annen aus. Natürlich, das lässt sich genauso in Stockum, in Herbede, in Bommern denken. Das würden wir uns sogar sehr freuen.

https://www.facebook.com/2meterkunst/videos/2511313635790189/